15. Stock, 5 Uhr morgens...


Mit einer Tasse Kaffee auf dem Balkon die erste Zigarette. Es ist noch ruhig im Viertel. Der Kläffer aus der Nachbarschaft hält auch noch still. Manchmal verspüre ich den Drang einen Putzeimer mit kaltem Wasser über ihn auszuschütten, wenn er wieder unter meinem Balkon wie irre
rumkrakehlt. Ich lass es aber. Die Töle kann ja nichts für seine unfähige Herrschaft.


Die Sonne ist noch nicht zu sehen. Versteckt sich hinter dem anderen Hochhaus, schräg gegenüber von meinem. Eine alte Frau dort hat auch ihr Morgenritual. Sitzt auf ihrem Balkon, rauchend und starrt in die Tasse vor sich. Ich nehme an, auch Kaffee. In Gedanken wünsche ich ihr einen guten Morgen.


Die ersten Tauben versammeln sich auf dem Flachdach eines weiteren Gebäudes tief unter mir. Baden im stehenden Wasser, das der Regen der letzten Nacht hinterlassen hat. Ich hasse diese Viecher. Wenn man nicht aufpasst und sie nicht ständig verscheucht, scheißen sie den Balkon voll. Eklig.


Unter meinem Hausmantel wird es langsam kühl. Ich betrachte den Dampf der von meiner Tasse aufsteigt. Der Sommer scheint sich leise fortschleichend zu verabschieden. Dann werde ich ja bald wieder die Morgennebel zwischen den Häusern sehen. Manchmal sehen dann die Häuser wie Schiffe in einem grau-weißen Meer aus. Sieht schön aus, solange es still ist.


An der Bushaltestelle stehen schon ein paar Leute. Jeder für sich, scheinbar schweigend. Kann ich verstehen, ich mag auch nicht morgens reden. Den Bus hört man schon von weitem, bevor man ihn sieht. Irgendwie ein Startschuss für den neuen Tag.


Langsam wird mir kalt. Gut dass die Sonne jetzt langsam hinter dem Haus hervor kommt. Die Strahlen geben sofort ein wärmendes Gefühl. Die Blüten meines Oleander scheinen förmlich zu glühen. Heute ist Montag, ich muss ihn gleich noch Gießen. Jeden Montag und Donnerstag.
Morgenritual. Ich öffne meinen Mantel, trete zwei Schritte zurück, lasse die Wärme an meine nackte Haut. Es ist eine andere Wärme wie die ihrer Hände.


Damals.


Lange her.


Die mittlerweile kalt gewordene Kaffeetasse hilft mir etwas die Erinnerungen zu verscheuchen. Ein letzter Blick nach unten. Zweiundfünfzig Meter unter mir der Grund. Ich habe es irgendwann mal ausgerechnet. Zeit für den Oleander. Ich greife mir die grüne Gießkanne und gönne der Schönheit exakt zweieinhalb Liter Wasser. Zurück ins Wohnzimmer. Ich schließe die Balkontür hinter mir und ziehe die Vorhänge vor. Schwarze Vorhänge, die die Helligkeit im Zimmer dämpft zu einem dämmrigen Licht. So ist es gut. Die Stille habe ich mit in das Zimmer genommen. In der Ecke leuchtet der Bildschirm. Dein Konterfei darauf sieht mich schweigend an. Draußen beginnt das Viertel zu erwachen.


Ich mag das Viertel, morgens, so um fünf...


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